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Wohnbau, Nachhaltigkeit und Ökologie
Im Gespräch mit Gregor Puscher, Geschäftsführer des wohnfonds_wien

erschienen in
Zuschnitt 82 Stadt – Holz – Klima, September 2021

Derzeit leben rund 1,9 Millionen Menschen in Wien, das entspricht 21,5 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung. Bis zum Jahr 2050 wird ein Bevölkerungsstand von rund 2,1 Millionen prognostiziert. Um den Wohnbedarf in der Stadt zu decken, setzt Wien in langer Tradition auf den sozialen Wohnbau. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben in einer geförderten Wohnung oder Gemeindewohnung. Ein kontinuierliches Engagement und hoch gesteckte Ziele zeichnen die Stadt Wien auch beim Thema Klimaschutz aus – als Klimamusterstadt will Wien bis 2040 klimaneutral sein.

Die Stadt wächst und damit steigt auch der Bedarf an Wohnraum. Zugleich gilt es, den CO2-Ausstoß zu senken, um den Klimawandel und seine Folgen einzudämmen. Auf welche Strategien setzt der Wiener Wohnbau, um diese beiden Herausforderungen zu meistern und zu vereinbaren?

Gregor Puscher Im geförderten Wiener Wohnbau haben klimaschonende Maßnahmen seit je einen hohen Stellenwert. Bereits mit den ersten Wohnbauprojekten seit Mitte der 1990er Jahre standen klimaschonende Bauweisen, nachhaltige Energieversorgung sowie umfangreiche Planungen in den Bereichen Frei- und Grünräume im Mittelpunkt der Verfahren. Mit dem Projekt Eurogate I wurde 2007 durch einen Bauträgerwettbewerb der Grundstein für die größte Passivhaussiedlung Europas mit 700 Wohneinheiten gelegt. Bei den aktuellen Verfahren rücken visionäre, ökologische Aspekte zunehmend in den Vordergrund. Ein immer schon zentrales Kriterium ist auch der bedachte Umgang mit dem wertvollen und nicht vermehrbaren Gut des Bodens.

So kommt es mitunter vor, dass innerhalb des Stadtgebietes Grünräume auf Kosten von Wohnbauprojekten wegfallen – was aber gesamtheitlich betrachtet eine wesentlich nachhaltigere Lösung ist, als Bauvorhaben samt zugehöriger Infrastruktur im Speckgürtel von Wien zu realisieren. Der Wiener Wohnbau konzentriert sich auch schon seit Jahrzehnten auf sogenannte Brownfields, also auf städtische Brachflächen ehemaliger Industrie- und besonders Bahnareale wie die Seestadt Aspern (ehemaliger Flughafen), den Nordbahnhof und das Sonnwendviertel (ehemaliger Frachtenbahnhof) und aktuell das Neue Landgut (ehemaliges Bahn- und Betriebsareal) oder den Nordwestbahnhof. Diese Flächen zeichnen sich durch ihre meist zentrale Lage und damit geringen Erschließungskosten und die Möglichkeit aus, kreislaufwirtschaftliche Betrachtungen einbeziehen zu können.

Welche Möglichkeiten hat der wohnfonds_wien, um das nachhaltige Bauen gezielt zu fördern?

Gregor Puscher Das Qualitätsinstrument Bauträgerwettbewerb hat durch sein Vier-Säulen-Modell, einen Kriterienkatalog zur Bewertung, eine Querschnittsmaterie als Basis. Mit einer der vier Säulen – Ökologie – setzt der wohnfonds_wien gezielt auf das Thema Nachhaltigkeit und macht dieses somit zu einem essenziellen Bestandteil der fachlichen Beurteilung von geförderten Wohnbauvorhaben. Eine ständige Weiterentwicklung, auch aufgrund technischer Möglichkeiten und neuer Betrachtungsweisen, ist hier selbstverständlich. Derzeit beschäftigen wir uns intensiv mit den Themen Lebenszyklusbetrachtung, Digitalisierung und BIM, mit rückbaufreundlichen Bauweisen und Baustoffen sowie Aspekten der Kreislaufwirtschaft, um den Wohnbau der Zukunft zu gestalten.

Jede einzelne Ausschreibung bietet auch die Möglichkeit, in der Aufgabenstellung zu einem bestimmten Wettbewerbsareal nicht nur standortspezifische Anforderungen zu stellen, sondern auch aktuelle wohnbau- und gesellschaftspolitische Themenstellungen in die Erarbeitung von Wohnquartieren einfließen zu lassen. Aktuelle Herausforderungen können damit konkret angesprochen werden. Das prägt einerseits den Diskurs in der Fachöffentlichkeit und bringt andererseits innovative Lösungsansätze hervor. In der breiten Auseinandersetzung werden diese Anforderungen und so gefundenen Lösungen zum neuen Standard, auf dem stets aufgebaut wird.

Um die angestrebte Klimaneutralität bis 2040 zu schaffen, braucht es einen umfassenden Mix an Maßnahmen. Wie kann der Wohnbau noch nachhaltiger und ressourcenschonender gestaltet werden? Braucht es dafür ein neues Modell?

Gregor Puscher Der Wiener Wohnbau ist einem steten Wandel unterworfen. Gesellschaftliche, aber auch ökologische Veränderungen haben den geförderten Wohnbau stets geleitet. Um zeitgerecht die begrenzten natürlichen Ressourcen unseres Planeten zu schützen, sind wir aktuell gefordert, die Treibhausgasemissionen im Gebäude- und Infrastruktursektor zu reduzieren. Konkret bedeutet das, weitere Maßnahmen zur Begrünung, klimaneutralen Kühlung, Beschattung und Durchlüftung der Wohnquartiere zu setzen – ein Mix, der einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des städtischen Mikroklimas, aber auch gegen die sommerliche Überwärmung der Wohnungen leistet und Ausgangspunkt für Lerneffekte und Fortschritte in der Quartiersentwicklung ist.

Eine weitere zukunftsträchtige Maßnahme ist der Einsatz nachwachsender und natürlicher Rohstoffe wie beispielsweise Holz. Wer mit Holz baut, ersetzt energieintensive Materialien. Ein hoher, die Bauzeit verkürzender Vorfertigungsgrad, die trockene und geräuscharme Bauweise, die gute Qualität als thermischer Dämmstoff und nicht zuletzt das Schaffen eines guten Raumklimas sind große Vorteile, die für das Bauen mit Holz sprechen. Wichtig dabei ist, dass Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern mit entsprechender Zertifizierung zum Einsatz kommt. Ein neues Instrument mit diesem Schwerpunkt wurde mit dem 1. Wiener Wohnbaumprogramm geschaffen: Tausend leistbare Wohnungen in Holz- und Holz-Hybridbauweise werden zum Labor für den Wohnbau von morgen.
Das oberste Ziel aller neuen Instrumente und Maßnahmen ist die Stärkung der Klima-Resilienz. Denn nur lernfähige Städte am Puls unserer digitalen Zeit werden künftig schnell und richtig auf die kommenden Herausforderungen der Klimaveränderung reagieren können.

wohnfonds_wien

Der wohnfonds_wien ist eine gemeinnützig tätige Organisation der Stadt Wien. Er ist für die Bereitstellung von Grundstücken und die Projektentwicklung für den geförderten Wohnbau verantwortlich und handhabt mit den Bauträgerwettbewerben und dem Grundstücksbeirat die wichtigsten Instrumentarien zur Qualitätssicherung für den geförderten Wohnungsneubau. Diese Gremien sind interdisziplinär zusammengesetzt und beurteilen Wohnbauvorhaben nach den vier Säulen des Wiener Wohnbaus: Ökonomie, soziale Nachhaltigkeit, Architektur, Ökologie. Weiters ist der wohnfonds_wien Anlaufstelle für Förderansuchen im Bereich der Sanierung alter Bausubstanz.

Der wohnfonds_wien ist eine gemeinnützig tätige Organisation der Stadt Wien. Er ist
für die Bereitstellung von Grundstücken und die Projektentwicklung für den geförderten Wohnbau verantwortlich und handhabt mit den Bauträgerwettbewerben und dem Grund- stücksbeirat die wichtigsten Instrumentarien zur Qualitätssicherung für den geförderten Wohnungsneubau. Diese Gremien sind inter- disziplinär zusammengesetzt und beurteilen Wohnbauvorhaben nach den vier Säulen des Wiener Wohnbaus: Ökonomie, soziale Nachhaltigkeit, Architektur, Ökologie. Weiters ist der wohnfonds_wien Anlaufstelle für Förderansuchen im Bereich der Sanierung alter Bausubstanz.

1. Wiener Wohnbaumprogramm

Im Zuge dieses von der Stadt Wien entwickelten Pro- gramms ist die Errichtung von tausend Wohnungen in Holz- und Holz-Hybridbauweise vorgesehen. In einem ersten Schritt werden rund 155 geförderte Wohnungen an sechs Standorten geschaffen. Den Bauträgerwettbewerb dazu wickelt der wohnfonds_wien bereits im Herbst 2021 ab. Die weiteren Verfahren sind für 2022 und 2023 geplant.


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 82
Stadt – Holz – Klima

Der Klimawandel und das Wachsen der Städte sind zentrale Themen der Stadtentwicklung und des Bauens in der Stadt. Wir zeigen, welchen Beitrag der Baustoff Holz für das klimaneutrale und ressourcenschonende Bauen in der Stadt leisten kann.

8,00 €

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Zuschnitt 82 - Stadt – Holz – Klima

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