Was heißt es, eine Stadt zu planen? Was bedeutet es, Städte zu bauen und eine Architektur zu verwirklichen, wenn eine andere Architektur, Geschichte und Identität schon da ist?
Heute eine Stadt zu planen, heißt, sich mit dem Vorhandenen auseinanderzusetzen – mit den historischen Bezügen und der städtebaulichen Entwicklung, dem charakteristischen Wesen der Architektur und dem kollektiven Bewusstsein der Bewohnerinnen und Bewohner. Es bedeutet, sich mit der baulichen Struktur und räumlichen Organisation ebenso zu beschäftigen wie mit den Menschen, dem sozialen Gefüge und der Kultur. Heute eine Stadt zu planen, heißt, ihren Ursprüngen nachzugehen, ihre Gegenwart zu begreifen, zukunftsträchtige Versionen ihrer selbst denken zu lernen und dabei den anderen Raum, der noch genutzt werden kann, mit einzubinden.
Holz gilt in Europa seit je als der ursprünglichste aller Baustoffe. Durch seine weitreichende Verfügbarkeit und einfache Verarbeitbarkeit entstanden so auf dem gesamten Kontinent Städte aus Holz. Bis zur Industrialisierung war Holz als Baustoff dominant, wurde jedoch aufgrund der Brennbarkeit und der damals geringen Möglichkeiten des Brandschutzes durch neu entwickelte, mineralische Materialen und neue Bautechniken zunehmend abgelöst. Neue Materialien und Technologien waren auch ganz im Sinne der Moderne mit ihren funktionalistischen Prinzipien und ihrem Streben nach neuen Standards, nach dem Bau des Neuen unter bewusster Vernachlässigung des Bestehenden.
Sie wollte die Stadt mit anderen Materialien und Technologien neu überdenken, die ein fast unbegrenztes horizontales und vertikales Wachstum ermöglichen sollten.
Dem steht heute die Rückbesinnung auf das Vorhandene als Schatz gegenüber, aus dem es zu schöpfen gilt. Es gibt ein Bewusstsein für die Endlichkeit von Rohstoffen und die Notwendigkeit, den Bestand als wertvolle Ressource zu begreifen, weiterzuentwickeln, darauf aufzubauen, ihn zu optimieren, daran weiterzubauen, die bereits verbauten Flächen bestmöglich auszunutzen und eine zusätzliche Versiegelung durch Neubau zu minimieren. Im Weiterdenken und Weiterbauen liegt das Potenzial, Heterogenität und Vielfältigkeit zu gewährleisten. Das Ziel ist, eine kulturelle Biodiversität zu erhalten und zu verhindern, dass die Globalisierung zu einer banalen Homogenisierung der Architektur und der Städte führt. Es ist weder zeitgemäß noch nachhaltig, Gebäude zu errichten, die bloß einem längst überholten Funktionalismus genügen und weder die Bedeutung einer individuellen, anpassbaren Nutzbarkeit erkennen lassen, noch eine Transformation ermöglichen.
Um Architektur zu schaffen, bedarf es der Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber dem Vorhandenen und eines Bewusstseins für dessen Qualitäten. Es ist wichtig, neue Nutzungen denken zu lernen, und dabei den anderen Raum, der noch genutzt werden kann, mit einzubinden – es ist wichtig, Möglichkeiten neu denken zu lernen.
Verdichtung
Die Geschichte der Architektur zeigt: Gebäude haben sich vielerorts nur bis in unsere Zeit erhalten, weil sie ständig verändert und neu genutzt wurden. Das Marcellustheater in Rom diente jahrhundertelang als Wohnstatt, der Athenatempel in Syrakus wurde in eine Kathedrale verwandelt, und viele mittelalterliche, Renaissance- und Barockgebäude beherbergen heute Schulen, Ämter, Museen. Architekturen sind lebendig und unvollendet und darum für Transformation offen.
Heute ist die Transformation mehr als eine Möglichkeit. Sie ist vielmehr Voraussetzung dafür, die Herausforderungen des zunehmenden Bedarfs an Wohnraum der immer weiter wachsenden Städte auf nachhaltige Weise zu meistern. Denn in einer nachhaltigen Stadt ist nicht mehr nur der Neubau Mittel zum Zweck. Vielmehr gilt es, durch Aufstockung, Erweiterung und Umgestaltung der bestehenden Strukturen Raum zu gewinnen – ohne neue Flächen aufzubrauchen und ohne das historische Erbe aufzulösen. Bauen durch Verdichtung, nicht durch Ausdehnung ist das Gebot der Stunde.
Der Bestand ist ein Schatz, der gepflegt und zum Wachsen animiert werden sollte. Jede gelungene Transformation ist mehr als eine gelungene Operation – sie steht für eine Summe von einzelnen Teilen, die in ihrer Gesamtheit wirken. Weder das Ursprüngliche noch das Neue ist wertvoller. Es ist das Konzentrat als Ganzes, in dem sich die Patina und die Zeichen der Zeit mit ihren technologischen Entwicklungen widerspiegeln und integrieren. Im Dialog zwischen Alt und Neu entstehen Akzente, Töne, Sequenzen unerwarteter und vielversprechender Räume, reich an Kontrasten, Kontrapunkten, Bezügen. Maßnahmen am Bestand auszuführen, bedeutet Architektur als offenen Prozess zu verstehen, der die Schichtungen des Lebens in die physische Beschaffenheit von Gebäuden überführt. Die Möglichkeiten sind vielfältig:
Aufstockung
Unter den vielfältigen Methoden der Verdichtung von Bestand liegt das Weiterbauen in Form einer vertikalen Überlagerung am nächsten. Durch Aufstockung eines bestehenden Gebäudes entsteht ein neues Volumen, dessen Präsenz das Streben nach Kontinuität, nach einem Ineinandergreifen vermittelt.
Anbau
Die Erweiterung von Bestand durch Anbau ermöglicht es, bereits vorhandene Strukturen und Infrastrukturen über einen sehr langen Zeitraum hinweg immer wieder zu adaptieren und damit die Nutzbarkeit zu erhalten. Es geht darum, mit dem Bestand in Dialog zu treten. Das kann auch durch Kontrast, durch materielle und strukturelle Unterschiede zum bestehenden Gebäude erfolgen. Hier vergrößert der Eingriff nicht nur die Nutzfläche, sondern steigert und aktualisiert auch den symbolischen Wert des Gebäudes.
Umbau
Die Adaption durch Umbau eines Gebäudes zur Umnutzung oder Anpassung an neue Bedürfnisse und Standards ist die tiefgehendste und strukturell anspruchsvollste unter den verschiedenen Möglichkeiten, in ein bestehendes Gebäude einzugreifen. Sie stellt dieses völlig infrage, durchdringt und verändert es meist grundlegend. Tatsächlich funktioniert diese Metamorphose am besten, wenn sich die Veränderung und die Neuinterpretation in Form einer kritischen Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Zweck und den gegenwärtigen Ansprüchen vollziehen – und im Bewusstsein, dass jeder Eingriff nur ein Impuls in einer offenen Abfolge von Veränderungen darstellt.
Eine Stadt aus Holz zu bauen, ist (wieder) möglich
Moderne Gesellschaften leben in zunehmend dynamischen, sich verändernden, unsicheren und vernetzten Situationen, die noch vor wenigen Jahren definierte Typologien infrage stellten. Die Fähigkeit, schnell und vielfältig reagieren zu können und damit gebaute Strukturen möglichst behutsam an neue Wohn-, Arbeits- und Lebensbedürfnisse anzupassen, ist heute daher umso mehr von entscheidender Bedeutung. Der ressourcenschonende und nachhaltige Baustoff Holz mit seiner schnellen Bauweise, Leichtigkeit und Vielfältigkeit im Einsatz ist bei dieser Aufgabe ein wertvoller Verbündeter für alle, die mit der Planung zukunftsträchtiger Städte betraut sind.
Und so steht der Einsatz von Holz als Baustoff des urbanen Raumes wieder hoch im Kurs. Ob München, Berlin oder Wien; ob Wohnhäuser, Büros, Schulen, Museen oder Sportanlagen – die Logik des Holzbaus erlaubt es, punktuell und nicht invasiv in das städtische Gefüge einzugreifen und ermöglicht das Arbeiten mit großer Präzision und Raffinesse, angepasst an gegenwärtige Ideen, Bedürfnisse und Möglichkeiten. Dank moderner Technologien und einer fortgeschrittenen Materialforschung ist das Bauen mit Holz heute effizienter und der Baustoff flexibler bearbeitbar, vielfältiger im Einsatz und nicht zuletzt gegenüber Feuer kontrollierbar und sicher.
Über lange Zeit galt die Meinung, dass der formale Ausdruck eines Gebäudes aus Holz nicht zur Stadt gehöre. Mittlerweile muss sich Holz im urbanen Kontext nicht mehr beweisen und es muss sich auch nicht unbedingt zeigen. Die Stärke des Holzbaus in der Stadt liegt weniger in seiner Ästhetik als vielmehr in seinen bautechnischen Eigenschaften.
Dank der Leichtigkeit und hohen Vorfertigungsmöglichkeit von Holz können die Bauzeit, die Lärmbelästigung bei der Errichtung und die Inanspruchnahme von öffentlichem Grund und Boden verkürzt werden, was zu erheblichen wirtschaftlichen Einsparungen führt und die Belastung von Anrainerinnen und Anrainern erheblich verringert. Einer der wichtigsten Faktoren: Bauen mit Holz ist ressourcenschonend und klimaneutral und trägt so dazu bei, dem klimabedingten Temperaturanstieg in den Städten auf lange Sicht entgegenzuwirken. Und schließlich ist das Bauen mit Holz nachhaltig, weil es eine ganzheitliche Betrachtung des Planungs- und Bauprozesses erfordert, mit einer frühzeitigen, koordinierten und kontinuierlichen Beteiligung aller in die Planung involvierten Akteurinnen und Akteure.
Holz hat sämtliche rustikale Klischees hinter sich gelassen, ist vielseitig und ausdrucksstark, zugleich hochtechnologisch und natürlich, nachwachsend und erneuerbar – ein zukunftsträchtiges Material, das im Wald wächst, CO2 speichert und konserviert und ganz nebenbei noch Sauerstoff produziert. Als Werkstoff in der Stadt verbaut, wirkt Holz als „zweiter Wald“ weiter. Holz ist wieder zu einem urbanen Material geworden.