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Drei Brandschutzexperten im Gespräch
Unterschiedliche Herangehensweisen an den Brandschutz

erschienen in
Zuschnitt 77 Brandrede für Holz, März 2020

Holz brennt überall gleich, und doch gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Brandgefahr. Unterschiedliche Denk- und Herangehensweisen führen zu unterschiedlichen Brandschutzverordnungen. Wir haben dazu die Brandschutzexperten Stefan Winter aus Deutschland, Reinhard Wiederkehr aus der Schweiz und Frank Peter aus Österreich befragt.

Im letzten Jahrzehnt wurde in Deutschland die Gesetzgebung für den Brandschutz im Holzbau liberalisiert. Wie ist es dazu gekommen?

Stefan Winter Einen großen Beitrag hat hier die internationale Forschung geleistet. Insbesondere in den DACH-Ländern haben wir durch koordinierte Forschungen nachweisen können, dass wir im Holzbau zu einem vergleichbaren Sicherheits- und Risikoniveau kommen wie bei den mineralischen Bauarten. Es braucht aber immer seine Zeit, bis sich solche Erkenntnisse in der Praxis durchsetzen. Je mehr große und mehrgeschossige Gebäude aus Holz entstehen, umso gesellschaftsfähiger wird diese Bauweise.

Trotz koordinierter Forschungen im DACH-Raum werden die Ergebnisse in den jeweiligen Ländern verschieden ausgelegt und führen zu unterschiedlichen Gesetzgebungen.

Stefan Winter Das Thema der brennbaren Fassaden ist hier ein gutes Beispiel. Da gab es Versuche in Österreich, in der Schweiz und bei uns. Es kam mehr oder weniger überall das Gleiche heraus, und doch haben wir unterschiedliche Systeme. Der Brandschutz in der Schweiz wird im Wesentlichen von der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) getrieben. Die Bauordnungen bei uns sind Landesgesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Das ist ein anderer Entscheidungsprozess, es sind andere Player mit unterschiedlichem Hintergrund. Gesetzestexte werden überwiegend von Juristen geschrieben, Brandschutzrichtlinien der VKF überwiegend von Technikern.

Der Umgang mit Sichtholzflächen ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich das Brandrisiko von Holz beurteilt wird. Wie schaut es hier in der deutschen Gesetzgebung aus?

Stefan Winter Da gibt es im Moment unterschiedliche Auffassungen. Nach baden-württembergischer Bauordnung kann man alle Oberflächen in Sichtholz bauen. Nach dem jetzigen Entwurf der Muster-Holzbaurichtlinie hingegen darf entweder die Decke sichtbar in Holz belassen werden oder ein Anteil der Wände. Diese Regelung halte ich für vernünftig. Wir wissen, dass die Brandausbreitung durch die Pyrolysen (dem thermischen Prozess, bei dem sich Holz unter Bildung von Holzkohle und brennbaren Gasen zersetzt) zu vieler brennbarer Oberflächen schneller vonstatten gehen kann, dass wir eine größere Feuersäule vor der Fassade bekommen und dass wir unter Umständen bei einem voll ventilierten Brand eine Temperaturentwicklung bekommen, die über der Einheitstemperaturkurve im Prüfverfahren liegt. Man muss die Grenzen kennen. Holz ist ein brennbarer Stoff.

Welche weiteren Änderungen in Bezug auf den Brandschutz sind zu erwarten?

Stefan Winter Es gibt noch eine Frage, die uns vor allem bei den Hochhäusern beschäftigt: Geht das Holz nach einem Brand von allein wieder aus? Nach etwa anderthalb Stunden ist bei einem entsprechend ventilierten Brand die mittlere mobile Brandlast (Möbel, Einrichtung, Bücher) verbrannt. Dann geht das Feuer aus und die Konstruktion bleibt stehen. Muss aber ein Gebäude einen Brand komplett alleine überstehen, ohne dass die Feuerwehr kommt? Auch schon bei der Gebäudeklasse 5?
Die Frage nach der Definition des Schutzzieles ist, zumindest in Deutschland, nicht vollständig beantwortet. Die wissenschaftliche Antwort in Deutschland, der Schweiz und Österreich lautet: Nach 90 Minuten, nach einem Vollbrand, darf ein Gebäude theoretisch zusammenstürzen. Egal ob Holzbau oder Stahlbau – so ist das Schutzziel. Nur ist diese klare Formulierung des Schutzziels gesellschaftlich nicht ausdiskutiert. Es gibt Experten, die sagen, ein solches Gebäude muss einen Naturbrand überleben. Dann sind wir beim selbst verlöschenden Holz. Der dicke Holzquerschnitt geht im Regelfall von allein aus. Man könnte aber auch nachhelfen, daran forschen wir gerade. Man kann Massivholzbauteile herstellen, die eine innen liegende Brandstoppschicht haben, bei der ein Feuer definitiv aufhört und die den innen liegenden Querschnitt weiter schützt.

Stefan Winter ist Professor für Holzbau und Baukonstruktion an der TU München. Brandschutz im Holzbau zählt zu seinen Forschungsgebieten.

 

Worin unterscheidet sich die schweizerische Herangehensweise im Brandschutz von jener der Nachbarländer?

Reinhard Wiederkehr Die Schweizer sind weniger normengläubig als gewisse europäische Nachbarländer. Wenn wir feststellen, dass eine Norm ungenügend ist, dann suchen wir nach Lösungen. In der Schweiz darf man theoretisch alles bauen, wenn man es verantworten kann. In Deutschland hingegen können Sie, wenn es für etwas keine Norm gibt, das auch nicht bauen. So können in der Schweiz natürlich Neuerungen viel schneller umgesetzt werden.

Die Schweizer trauen sich also in Bezug auf den Brandschutz mehr?

Reinhard Wiederkehr Auch in der Schweiz ist ein Material viel zu stark danach beurteilt worden, ob es brennbar ist oder nicht. Dabei ist das Gesamtbrandverhalten von Holzgebäuden nicht markant schlechter als von Gebäuden aus anderen Baustoffen. Mithilfe von Forschungen und Entwicklungen und anhand von Schadensfällen konnte aufgezeigt werden, dass die Kategorisierung in brennbar und nicht brennbar nicht mehr sinnvoll ist. Heute bauen wir Holzbauten technisch robuster und haben eine ganze andere Wasserversorgung. Darum kann der Brand im Kleinen bekämpft werden. Zugleich haben sich die Schweizer auch die Frage gestellt, wo die heutigen Risiken liegen, und festgestellt: Die CO₂-Thematik stellt ein viel größeres gesellschaftliches Risiko dar als ein Brand. In der Schweiz gibt es kantonale Monopol-Gebäudeversicherungen. Diese Versicherungen sind daran interessiert, ein Gebäude möglichst sicher bauen zu lassen, damit es nicht niederbrennt. Während aber die Brandschäden in der Schweiz gleichbleibend sind, haben die Schäden im Elementarbereich – durch Überschwemmungen oder Murenabgänge – zugenommen. Das haben die Versicherungen erkannt.

Da eine gesunde Waldwirtschaftspolitik einen positiven Einfluss auf das Klima hat, will man der Wertschöpfungskette Wald und Holz mehr Bedeutung verleihen. In diesem Kontext kann man auch volkswirtschaftlich etwas mehr Brandschäden verantworten. Die Frage der Personensicherheit hat nichts mit der Materialwahl der Geschossdecke oder der Trennwand zu tun. Dies ist eine wohnungsinterne Frage. So hat man politisch entschieden, dem Holzbau eine faire Chance zu geben und die Grundsätze des Vorschriftenwerks zu überarbeiten. Mit der rein technischen Diskussion, ob ein Material brennbar oder nicht brennbar ist, kam man nicht weiter und hat deshalb die ganze Gesetzgebung grundsätzlich hinterfragt. Das zaghafte Vorwärtsgehen in den anderen Ländern ist darauf zurückzuführen, dass man dort das Gegenteil einer Norm beweisen will. Damit bleibt man immer im gleichen Denkmuster.

Sind in Zukunft noch weitere Erleichterungen für den Brandschutz im Holzbau zu erwarten oder ist nun alles ausgereizt?

Reinhard Wiederkehr In der Schweiz können heute Gebäude bis zur Hochhausgrenze ohne Weiteres in Holz gemäß Standardkonzept der Brandschutzvorschriften gebaut werden. Hier gibt es sicher noch Vereinfachungsmöglichkeiten. Da es in der Logik unserer technischen Entwicklung nicht mehr um die Frage geht, ob ein Material brennbar ist oder nicht, können durchaus auch Hochhäuser in Holz gebaut werden.

Es gibt aber noch ein anderes Thema, das wir als Branche ernstnehmen müssen: den Brandschutz auf der Baustelle. Holzgebäude sind sicher, wenn sie fertiggebaut und in Betrieb sind. Aber während der Bauphase muss sich die Branche der Risiken bewusst sein und verantwortungsbewusst damit umgehen.

Reinhard Wiederkehr ist Holzbauingenieur und Brandschutzexperte im Büro Makiol Wiederkehr AG. Er war als Mitglied des Fachausschusses Brandschutz im Holzbau in die Überarbeitung der Brandschutzvorschriften involviert.

 

In Österreich wurden in den letzten Jahren die Brandschutzvorschriften für den Holzbau liberalisiert. Welche Vorbehalte gegenüber dem Holzbau sind dennoch geblieben?

Frank Peter Wir können in Österreich sechs Geschosse in Holz errichten, ohne besondere Anforderungen erfüllen zu müssen. Wir müssen nicht mehr, wie in einigen deutschen Bundesländern nach wie vor gefordert, die Holzkonstruktion kapseln. Mit einer Kapselung will man verhindern, dass sich Holzbauteile durch einen Raumbrand entzünden und in weiterer Folge eine unkontrollierte Brandausbreitung stattfindet. Natürlich kann der Baustoff Holz einen zusätzlichen Beitrag zum Brand leisten und damit die Größe eines Brandereignisses beeinflussen. Die wesentliche Frage ist immer, ob der Brand für die Feuerwehr beherrschbar bleibt oder nicht. Erst ab einem gewissen Stadium in der Brandentwicklung spielt es eine Rolle, dass Holz ein brennbarer Baustoff ist. Ein Raumvollbrand in der Größe von einer Wohnung ist für die Feuerwehr beherrschbar, unabhängig davon, ob das Gebäude aus Holz oder einem anderen Material errichtet wurde.

Wie schaut es in Österreich mit Gebäuden mit mehr als sechs Geschossen in Holzbauweise aus?

Frank Peter Derzeit haben wir eine klare Trennlinie: Erst bei mehr als sechs Geschossen in Holzbauweise brauchen wir ein Brandschutzkonzept, in dem wir begründen, dass wir das gleiche Sicherheitsniveau wie mit mineralischen Baustoffen erreichen. Uns fehlt hier ein Übergangsbereich von sechs Geschossen zu höheren Gebäuden. Man sollte sich von der Genehmigungsseite her überlegen, wie man Holzbauten mit mehr als sechs Geschossen auch ohne besondere Maßnahmen ausführen kann. Das kann eine kleinzellige Bauweise sein oder es kann Kompromisse in Bezug auf die Sichtholzflächen geben. So könnte man auf der Basis einer Risikobetrachtung neue Vorgaben für Gebäude aus Holz über sechs Geschosse festsetzen.

Wollen Sie das Grenzdenken durch Risikodenken ablösen?

Frank Peter Die Risikobetrachtung im Brandschutz ist eine schwierige Materie. Im Gegensatz zu einem Brandereignis ist das Risiko, im Straßenverkehr zu verunglücken, ein akzeptiertes. Ein Brand hingegen ist ein ungewöhnliches Ereignis. Die Angst vor Feuer zählt zu den Urängsten des Menschen und unsere Gesellschaft hat hier ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Nehmen wir als Beispiel einen gewöhnlichen Lebensmittelmarkt mit 1.200 m² Fläche, bei dem keine Brandschutzeinrichtung gefordert ist. Wenn das Brandereignis eine entsprechende Größe entwickelt hat, wird es der Feuerwehr nicht mehr gelingen, den Brand zu löschen. Der Lebensmittelmarkt wird vollständig abbrennen, egal ob er aus Holz, Beton oder Stahl errichtet wurde. Dieses Risiko ist in der Bauordnung enthalten und damit gesellschaftlich akzeptiert. Dennoch tun sich die Menschen sehr schwer, einen solchen Verlust, ein solches Schadensereignis zu akzeptieren. Die Schweizer hingegen betrachten das Risiko bei Bränden viel objektiver und lassen auch volkswirtschaftliche Aspekte in ihre Risikobetrachtungen miteinfließen.

Frank Peter ist Brandschutzexperte und Geschäftsführer der Firma brandRat für Brandschutz, Consulting und Engineering.

 


verfasst von

Anne Isopp

ist freie Architekturjournalistin, -publizistin und Podcasterin in Wien. Sie war von 2009 bis 2020 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt. In ihrem Architekturpodcast Morgenbau spricht sie mit Menschen aus der Baubranche über nachhaltiges Bauen.

Erschienen in

Zuschnitt 77
Brandrede für Holz

Im Brandfall ist Holz berechenbar. Im Brandfall schützt Holz sich selbst. Diese Gewissheit spiegelt sich in den gelockerten Brandschutzvorschriften für den modernen Holzbau wider. Damit wird das Bauen mit Holz immer sicherer und einfacher, und das ist gut so.

8,00 €

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Zuschnitt 77 - Brandrede für Holz

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