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Experimenteller Theaterbau in Vidy

erschienen in
Zuschnitt 73 Unter Spannung, März 2019

Daten zum Objekt

Standort

Lausanne/CH Google Maps

Bauherr

Théâtre Vidy-Lausanne, Lausanne/CH

Planung

Yves Weinand architecte, Lausanne/CH

Statik

Bureau d’Études Weinand, Liège/BE, www.weinand.be

Holzbau

Blumer-Lehmann AG, Gossau/CH, www.blumer-lehmann.ch

Spannweite

16 – 20 m

Fertigstellung

2017

Doppelschaliges Faltwerk

Der neue Holzbau für einen Theatersaal in Vidy liegt neben dem von Max Bill entworfenen Theater für die Expo 64. Er bietet einen repräsentativen, gedämmten und akustisch vorteilhaften Ersatz für den provisorischen Zeltbau und verbindet Konstruktion und Formgebung zu einem selbstverständlich wirkenden Faltwerk. Die Verbindungstechnik geht auf eine der ältesten Methoden im Holzbau zurück, nämlich auf Holz-Holz-Verbindungen (Schwalbenschwanzverbindungen). Das IBOIS der EPF Lausanne hat solche traditionelle Holzplattenverbindungen erforscht und in den baulichen Maßstab übertragen. Der Neubau des Théâtre de Vidy konnte so als gefaltetes Plattentragwerk unter minimalem Einsatz von Metallverbindern und Leim erstellt werden.

Computerberechnete Verbindungen

Grundlage für die Konstruktion ist ein neu entwickeltes CAD-Plugin, mit dem integrale Zapfenverbindungen automatisch berechnet werden können. Diese dienen als Fügehilfe für den schnellen und präzisen Zusammenbau einer großen Anzahl unterschiedlich geformter Bauteile und zugleich übertragen sie Kräfte. Die Form der Zapfen erlaubt nur eine Einschubrichtung. Somit kann die einzig mögliche Position der Bauteile in der Konstruktion in die vorgefertigte Verbindung eingebettet werden. In einer Forschungsarbeit wurde gezeigt, dass sich durch derartig optimierte Faltformen die Verformungen unter Last um bis zu 40 Prozent reduzieren lassen. So können auch große, stützenfreie Spannweiten mit dünnen Platten überspannt werden.

Eine weitere Entwicklung, mit der sich die Anzahl unterschiedlicher Kantenverbindungen nochmals deutlich erhöht, sind zweischichtige Faltwerkskonstruktionen aus Holzplatten. Für diese erlaubt eine neuartige Verbindungstechnik mit Doppelzapfenverbindern eine vollständige integrale Fügung. So lassen sich entlang gefalteter Kanten alle vier Platten direkt miteinander verbinden, wobei die Doppelzapfen auch als Abstandshalter zwischen den beiden Schichten dienen und Scherkräfte aufnehmen.

Ein Prototyp mit dünner Doppelschale

Die Konstruktion für das Théâtre de Vidy ist eine Weiterentwicklung vorheriger Prototypen. Die zweischichtige Konstruktion nutzt die Möglichkeit der integralen Verbindungstechnik aus, besonders dünne Plattenquerschnitte miteinander zu verbinden. So kann das Tragwerk bei einer Plattenstärke von nur 45 mm eine Distanz von 16 bis 20 Metern stützenfrei überspannen. Der Abstand zwischen den beiden Schichten beträgt 300 mm von der Oberseite der äußeren Plattenlage bis zur Unterseite der inneren Plattenlage. In den hohlen, 210 mm tiefen Zwischenraum wird die Dämmung über Bohrungen in der oberen Plattenlage vor Ort eingeblasen. Somit bietet die doppellagige Konstruktion zusätzlich zu den statischen Eigenschaften einen Vorteil gegenüber einer einschichtigen Konstruktion mit dickeren Platten. Letztere erfordert zwar eine weniger anspruchsvolle Geometriegenerierung und Fügung, aber eine deutlich komplexere Feststoffdämmung, die in einem derart geformten Faltwerkdach nur mit hohem Aufwand zu realisieren wäre. Der Grundriss des Theaters überdeckt zwischen den zwei gefalteten, 9 Meter hohen Wandkonstruktionen eine Grundfläche von 538 m2. Die Grundform der Dachkonstruktion basiert im Gegensatz zu den vorherigen Prototypen auf einer nicht abwickelbaren Form. An den Knotenpunkten des Polygonnetzes treffen sich sechs Kanten, und ihre Position in der Längsachse des Gebäudes folgt drei verschiedenen Kreisbögen, von denen die zwei äußeren auf unterschiedlicher Höhe in der vertikalen Schnittebene des Gebäudes liegen. Diese asymmetrische Form ermöglicht unter anderem den Ablauf des Regenwassers.

Monitoring

Im Zwischenraum eingelegt sind Feuchtemesser, die im Fall eines Eindringens von Wasser in die Konstruktion einen Alarm auslösen. Damit lassen sich frühzeitig Maßnahmen einleiten, um einen Schadensfall zu verhindern.

Video


verfasst von

Yves Weinand

ist Architekt und Tragwerksplaner. Er führt ein Architekturbüro in Lausanne und ein Ingenieurbüro (Bureau d’Études Weinand) in Liège. Er ist Direktor des IBOIS, des Forschungslabors für Holzkonstruktionen an der EPF Lausanne.

Erschienen in

Zuschnitt 73
Unter Spannung

Ob große Spannweiten, hohe Räume oder ungewöhnliche Kubaturen, im Holzbau kann der Ingenieur aus dem Vollen schöpfen. Spannendes und Informatives rund um den Ingenieurholzbau.

8,00 €

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Zuschnitt 73 - Unter Spannung

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